90 Jahre

Bei fast allem sakralen Ernst, mit dem Hans Remond seit Jahren seine künstlerische Tätigkeit ausübt, ist er auch das Kind geblieben, das spielen muss. Und der rastlose Arbeiter, der sich keine Ruhe gönnt, der Zweifler, der alles hinterfragt. So kommt es, dass alles immer wieder verschoben, verändert und erneuert wird, ein Ende ist nicht abzusehen.

Werner von Mutzenbecher aus  «Hans Remond, Phänomenologie eines Künstlers».
Katalog zur Ausstellung «Parallele Universen», 2007, Kunst Raum Riehen

Ausstellung:
17. Dezember 2021 13. Februar 2022

Eröffnung:
Freitag, 17. Dezember, 14 18 Uhr

Grusswort:
Dr. Simon Koenig um 17 Uhr

Museumsnacht:
Freitag, 21. Januar, 18 02 Uhr

90 Jahre Hans Remond:
Donnerstag, 27. Januar
18 Uhr: 1. Führung mit Hans Remond
20 Uhr: 2. Führung mit Hans Remond
21 Uhr: Hans Remond spielt Saxophon mit Freund*innen und  lässt die Korken knallen

Finissage:
Samstag, 12. Februar, 13 17 Uhr

ProgrammZeitung Dezember 2021

BaZ, 27. Januar 2022

Hans Remond: 90 Jahre
von Simon Baur

Am kommenden 27. Januar begeht Hans Remond seinen 90. Geburtstag. Von diesen neun Jahrzehnten ist er deren sechs, genauer seit 1960, als freier Künstler tätig. 1938 flüchtete er mit seinen Eltern und Geschwistern aus dem deutschen Salzwedel in die Schweiz. Seine Eltern, beide Schauspieler, waren während des Zweiten Weltkrieges mit Arbeitsverbot belegt. Nach dem frühen Tod des Vaters war die Mutter als Putzhilfe tätig. Hans Remond machte zuerst eine Lehre als Flachmaler und Autolackierer, bevor er zur Kunst fand. Sein Umgang mit Farbe und Material und seine technische Brillanz zeugen von dieser frühen Ausbildung. Wie bei seinen Malerfreunden Werner von Mutzenbecher, Samuel Buri, Lenz Klotz und Marcel Schaffner hat Arnold Rüdlingers Präsentation der amerikanischen abstrakten Expressionisten in der Kunsthalle Basel Spuren in seinem Werk hinterlassen. Die anfänglich eher dunkeltonige Palette wird bald durch Farben abgelöst. Anhand der Serie Women studiert er die Malerei von Willem de Kooning und lässt von da an die Farbe nicht mehr aussen vor. Das bedeutet aber nicht, dass seine Malerei bunt geworden wäre. Der erste Platz für Farbenakrobatik ist in Basel eh längst vergeben – und diesen macht Hans Remond Samuel Buri nicht streitig. Er versucht eher mit wenigen, monochromen Setzungen Emotionen zu schaffen. Hans Remond: «Man sieht eine Farbe, ein Rot oder Gelb, das auf nichts Direktes Bezug nimmt, das aber einen Eindruck, eine Art Vorstellungsbild hinterlässt, den Körper in nachhaltige Schwingung versetzt, Assoziationen weckt und in bestimmten Situationen Erinnerungen wachruft, wie es eben nur Farben vermögen.»

Nach einer Phase gestisch orientierter Malerei verschreibt sich Hans Remond fast gänzlich der Abstraktion und entwickelt grossformatige Objekte aus Holz. Sie wirken so, als hätten Sophie Taeuber und Piet Mondrian Holzspielzeug hergestellt. Remond versieht sie mit wenigen Farben und bringt sie spielerisch in Bewegung: ausgeschnittene Kreisscheiben, mit Scharnieren versehene Bretter und in Rillen fahrende Hölzer, die sich nach verschiedenen Seiten bewegen lassen. Ein Objekt oder ein Bild ist bei Hans Remond nicht statisch, es darf, ja muss sich verändern. Spiel und Veränderung sind denn auch wichtige Themen in seinem Werk. Werner von Mutzenbecher hat ihn nicht nur als das Kind beschrieben, «das spielen muss», sondern auch als den «rastlose(n) Arbeiter, der sich keine Ruhe gönnt,» und den «Zweifler, der alles hinterfragt». Und so geht er nicht nur seiner Malerei und seinen Objekten, sondern auch der Farbe auf den Grund. Im Raum, in dem die Holzobjekte stehen, zeigen sich Spiel und Zweifel auch in den beiden Dreiecksbildern. Während das schwarze Dreieck an der Wand hängt, hat er das rote auf ein hölzernes Beistelltischchen gelegt. Ob und wie sich Schwarz und Rot in einem spielerischen Dialog zu einem grossen Ganzen vereinen, ist der Fantasie der BetrachterInnen überlassen.

Auf die Objekte aus Holz folgen die Schnurbilder und später die Figurenkästen. Mit Schnüren, die er waag- und senkrecht auf die Leinwand klebt und übermalt, schafft er geometrische Strukturen, die teils an Jan Schoonhoven erinnern. Doch wie in seinem Frühwerk sucht Hans Remond auch hier nach weiteren Möglichkeiten und findet zu den Figurenkästen, vielleicht seinen politischsten Arbeiten. Seine Vergangenheit, die Flucht aus Deutschland, hat ihn geprägt; immer war er auch ein politischer Mensch, wenngleich seine Kunst dies eher hintergründig zeigt. Triptychen und Kreuzformen zeugen davon, obschon er in Letzteren auch nur Zeitachsen sieht. Offene und leere Kästen und Schränke, ein Tisch mit einem Kopf, ein Triptychon auf dem Rücken, ja gar hängende und gefesselte Figuren: Hier werden Fragen gestellt, aber keine Antworten gefunden, die räumliche Dimension wird nebensächlich und das Körperliche, das Drama der Gefangennahme, der Folter und der Isolation werden zum zentralen Inhalt.

Und wie aus dem Nichts findet Hans Remond mit den Körperbemalungen zurück zur gestischen Malerei, verknüpft diese aber mit den Körpererfahrungen der Figurenkästen. Die Finger werden «bezeichnet» und weisen gleichzeitig auf etwas Bestimmtes hin, wie es der lateinische Ausdruck «index» im heutigen Sprachgebrauch andeutet. Wie Hannah Villiger hält auch Hans Remond seine Körperbilder mit der Polaroidkamera fest und vergrössert sie später für Ausstellungspräsentationen. Wieder siegt in ihm der Zweifler, wieder findet er zur gestischen Malerei, diesmal mit Landschaften, doch kurze Zeit später holt ihn die Farbe erneut ein und er kehrt zurück zur Monochromie, zu unterschiedlichen Bildformaten und raumfüllenden Installationen. Wie oft hat der Zweifler Hans Remond davorgestanden und einzelne Bilder verschoben, neu platziert oder ersetzt. Und wie oft ist der Fotograf Martin P. Bühler dabei gewesen, hat auf den Auslöser gedrückt und die einzelnen Kompositionen fotografiert, als wolle er jeden einzelnen Moment dieser grossen, zeitlich begrenzten «Wandzeichnungen» für uns festhalten.

Wer mehr als 60 Jahre Kunst macht, kann aus dem Vollen schöpfen und sein Publikum auch mal überraschen. Beispielsweise mit den Holzobjekten, die ihre Frische bis heute behalten haben und uns gleichzeitig an die dynamischen Pop-Art-Arbeiten in der Stadt Basel erinnern, etwa Remonds Emailbild bei der Johanniterbrücke oder die Wandarbeit von Allen Jones für Fogal an einer Hausfassade in der Einfahrt des Bahnhofs. Beide Arbeiten sind längst abmontiert oder übertüncht, für das Emailbild sucht der Basler Kunstkredit immerhin einen neuen Standort, damit «Lieu dit» von Michael Grossert an der Heuwaage nicht die einzige Erinnerung an diese wichtige Kunstgattung in Basel bleibt. Überraschend ist auch die grosse weisse Pyramide mit dem schwarzen Spitz, die im Eingangsbereich des ersten Stocks des Rappaz Museums hängt. Dieses Bild erinnert an Sigmar Polkes «Höhere Wesen befahlen: obere rechte Ecke schwarz malen!». Auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses steht ein kleines Altarbild auf einem alten Stuhl. Spiritualität hatte schon immer verschiedene Gesichter.

Ein kleines Bravourstück gelingt Hans Remond aber mit den filigranen Fingerübungen auf kariertem Papier, das er einem spiralgebundenen Heft entnahm. Auf jedes Blatt malte er mit Bleistift und Farbe kleine Fensterbilder, als wolle er der strengen Architektur der Schnurbilder einen spontanen Kontrapunkt entgegensetzen. Man staunt über die zarte Bestimmtheit der Linien, über die Kratzspuren in der weissen Farbe, die uns neue Wege durch die dichten Oberflächen weisen, und die feinen Lasierungen der Farben, die das Raster des Untergrundes sichtbar lassen. Man glaubt, Hans Remond habe Cy Twombly über die Schulter geschaut. Und doch hat er etwas ganz Eigenes geschaffen: Erinnerungen an Paul Klees «Alter Klang» im Kunstmuseum Basel oder Rainer Maria Rilkes «Herbsttag» werden wach. Sind es Nebelbilder oder erzählen sie gar von der Fragilität des Lebens?

Hans Remond. 90 Jahre.
Was für ein reicher Hafen!
Vielen Dank, lieber Hans.

Simon Baur, im Dezember 2021