Konstruktive Statements von
9 Künstlerinnen und Künstlern

Ausstellung:
2. Juni – 27. August 2023

Vernissage:
Freitag, 2. Juni, 17 – 20 Uhr

Finissage:
Sonntag, 27. August 2023, 14 –18 Uhr

Würden Sie die Werke von Hans Arp, Brice Marden, Robert Ryman und Ulrich Rückriem als Konkrete Kunst bezeichnen? Die Namen dieser Künstler sind im Wikipedia-Eintrag zur Konkreten Kunst aufgeführt. Bereits die Begründer der Konkreten Kunst waren sich uneinig, wie diese Kunstbewegung zu definieren ist, wie man sich gegenüber anderen Ismen abgrenzen will und wer alles in ihre Reihen aufgenommen werden sollte. Und die Grabenkämpfe und Diskussionen haben bis heute nicht nachgelassen. Wie oft hört man von Abgrenzungsversuchen gegenüber den Zürcher Konkreten. Weshalb eigentlich?

Der Begriff «Konkrete Kunst» wurde vor gut 100 Jahren vom holländischen Künstler Theo van Doesburg eingeführt und bei der Gründung der Gruppe «Art concret» programmatisch festgelegt für eine Kunstrichtung, die im Idealfall auf mathematisch-geometrischen Grundlagen beruht. In seinem Manifest formuliert er die entsprechenden Voraussetzungen so: «Das Kunstwerk muss im Geist vollständig konzipiert und gestaltet sein, bevor es ausgeführt wird. Es darf nichts von den formalen Gegebenheiten der Natur, der Sinne und der Gefühle enthalten. Wir wollen Lyrismus, Dramatik, Symbolik etc. ausschalten. Das Bild muss ausschliesslich aus plastischen Elementen konstruiert werden, sprich aus Flächen und Farben. Ein Bildelement hat keine andere Bedeutung als sich selbst.» Manifeste sind oft radikal formuliert, was eine buchstäbliche Umsetzung erschwert. Zudem gehen Manifeste von einem aktuellen Zustand aus und ignorieren eine bereits vollzogene künstlerische Entwicklung der beteiligten Künstlerinnen und Künstler.  

Gemäss diesen Definitionen dürfte Piet Mondrian, der von einem an die Natur angelehnten Naturalismus und Symbolismus zur Abstraktion gelangte, nicht als konkreter Künstler bezeichnet werden, genauso wenig wie Hans Arp oder Brice Marden, doch auch Mondrian taucht im oben erwähnten Wikipedia-Eintrag auf. Ähnlich verhält es sich mit den Künstlerinnen und Künstlern der aktuellen Ausstellung im Rappaz Museum. Da gibt es jene, die man vielleicht als «Radikale» bezeichnen könnte, im Gegensatz zu den «Gemässigten».

Wie sehr der Begriff «radikal» mit Vorsicht zu geniessen ist, zeigen die Unterzeichner der Künstlergruppe «Artistes radicaux», die 1919 und damit einige Jahre vor Theo van Doesburg mit einem Manifest an die Öffentlichkeit traten. Darin heisst es: «Wir Künstler als Vertreter eines wesentlichen Teiles der Gesamtkultur wollen uns ‘mitten die Dinge hineinstellen, die Verantwortung für die kommende, ideelle Entwicklung im Staate übernehmen. Das ist unser Recht. (…) Die Geistigkeit einer abstrakten Kunst bedeutet die ungeheure Erweiterung des freiheitlichen Gefühls des Menschen. Unser Glaubensziel ist brüderliche Kunst: Neue Sendung des Menschen in der Gemeinschaft. Die Kunst im Staat muss den Geist des gesamten Volkskörpers widerspiegeln. Kunst zwingt zur Eindeutigkeit, soll Fundament des neuen Menschen bilden, jedem Einzelnen und keine Klasse gehören.»[1] Unterzeichnet wurde dieses Manifest von Hans Arp, Fritz Baumann, Viking Eggeling, Augusto Giacometti, Walter Helbig, Marcel Janco, Otto Morach und Hans Richter. Sophie Taeuber reagierte prompt und ungehalten: «Ich bin w ü ü ü ü ü ü tend. Was ist das wieder für ein Quatsch ‹radikale Künstler›. Wenn ich ein Künstler wäre und mein Name würde andauernd lächerlich gemacht durch schreien, quietschen, heulen, schmieren und drucken so würde ich dem Urheber Lehm in’s Maul stopfen und in die Finger beissen, dass er es nicht mehr kann. Es kommt nur auf die Arbeit an, diese Art zu manifestieren ist mehr als blöd.».[2] Wie recht sie hatte. Vergegenwärtigen Sie sich die Karrieren dieser Künstler und sie stellen fest, dass «radikal» nicht der Essenz ihrer Arbeiten entspricht. Sophie Taeuber bringt es auf den Punkt: «Es kommt nur auf die Arbeit an».

Theo van Doesburg, Piet Mondrian und die Zürcher Konkreten, auf sie mag das Prädikat «radikal» zutreffen, gehören sie doch zu einer Generation, die die Entwicklung der Konkreten Kunst von Beginn, also von der Wurzel her (lat. radix ) mitbestimmten oder verfolgten. Heutzutage braucht es beide, die «Radikalen», als die Bewahrer einer Tradition und die «Gemässigten», die diese Kunst weiter entwickeln wollen. Die Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung haben neue Wege und Richtungen erprobt. Sie haben sich wie René Isler und Rolf Rappaz von den Zürcher Konkreten wegbewegt und zu neuen Bildlösungen gefunden, haben wie Klaus J. Schoen sich am abstrakten Expressionismus orientiert, operieren wie Suzanne Daetwyler mit mathematischen Formeln, setzen wie in den Arbeiten von Helen von Burg und Gret Mengelt neue oder für diese Kunstform ungewohnte Materialien ein oder erzeugen, wie Haász István und John Grüniger, mit dem Verschieben von Flächen und Linien eine Dreidimensionalität, die zwischen Zeichen und Körpern changiert. Eine Kunstbewegung braucht in ihren Anfängen eine gewisse Radikalität, um sich von anderen Ismen abzugrenzen, sie benötigt aber nach einer gewissen Entwicklung all jene Tendenzen, die sich an den Rändern bewegen, um neue Möglichkeiten und Territorien zu eruieren. Das tun, die an dieser Ausstellung beteiligten Künstlerinnen und Künstler ausnahmslos und vermessen so die Grenzen der Konkreten Kunst neu und zeigen uns damit neue interessante Bereiche und Facetten auf.

Simon Baur

 

[1] Vgl. Basler Nachrichten, 9. Mai 1919, Nr. 213.

[2] Vgl. Sophie Taeuber an Hans Arp, 4. Mai 1919, in: Sophie Taeuber-Arp, Briefe 1917-1928, Bd. II, hg. Von Medea Hoch, Walburga Krupp, Sigrid Schade, Nimbus Verlag, Wädenswil, 2022, S. 141.